Rückentext:
Im Italien der Renaissance ist es Frauen nicht gestattet, während der Messe die Stimme zu erheben. Für Giulia, Tochter eines Kapellmeisters, ist diese eine Qual, denn nichts wünscht sie sich so sehr, wie im Chor ihres Vaters zu singen. Als vor einer wichtigen Aufführung der Solist ausfällt, springt die verkleidete Giulia ein: der Erfolg ist überwältigend. Doch von diesem Moment an befindet sie sich auf der Flucht ...
Meinung (Achtung, möglicherweise Spoiler!):
Es ist nun wieder ein kleines Weilchen her, seit ich das Buch gelesen habe und nun wird es Zeit, dass ich meine Meinung dazu da lasse. An sich finde ich die Idee gut, ich finde es nur schade, dass es Giulia nicht gestattet ist, in dieser Zeit Kirchenlieder zu singen, was ich persönlich nicht nachvollziehen kann, da ist doch nichts dabei. Auch finde ich es schade, dass es nicht ausreichend im Buch erklärt wird, warum es für Frauen verboten sein soll bzw war. Zwar wird hier und da mal gesagt, dass eine Frau das nicht machen darf, weil sie sonst in die Hölle kommt und dass es ein schweres Vergehen ist; dass es allgemein nicht gerne gesehen ist, aber für mich reicht diese Erklärung einfach nicht. Natürlich könnte ich das auch einfach googeln, aber ich hätte es besser gefunden, hätte die Protagonistin das mal so richtig hinterfragt oder jemand hätte ihr das mal ausführlich erklärt, damit es auch der Leser mitbekommt. Für mich gehören solche Erklärungen einfach mit rein, damit man genau weiß, was los ist und damit man mit dem Mädchen mehr mitfiebern kann.
Aber auch ohne die genauen Hintergründe zu kennen, weiß man: Ok, sie als Frau dürfte da eigentlich gar nicht singen. Dadurch, dass sie bei ihrem ersten Auftritt als Kastrat so erfolgreich war, musste sie sich zusammen mit ihrem Vater und ihren beiden treuen Dienern aus der Stadt schleichen und woanders hingehen. Kaum haben sie in einer Stadt Unterschlupf gefunden, landet Giulio, wie Giulia sich zu ihrer Verteidigung und in ihrer Verkleidung nennt, recht schnell in den besseren Gesellschaften, die allen der wundervollen Musik des Kastraten lauschen wollen. Dabei hat sie auch öfters mal Schwierigkeiten, kommt dadurch an verschiedene Orte in verschiedenen Ländern. Doch das größte Hindernis ist ihr eigener Körper, denn sie wird natürlich immer älter und auch immer weiblicher. Zwar kann sie ihren Körper verstecken, aber ist nicht von der Periode befreit, die sie immer wieder vor neue Probleme stellt. Nur dank ihrer Dienerin und ihrem Status kann sie sich immer wieder davor retten, als Frau enttarnt zu werden.
Hier finde ich es toll, wie selbstlos die zwei Diener hinter dem Mädchen stehen und sie unterstützen, nicht nur, damit sie nicht enttarnt werden, sondern auch emotional, besonders die Frau. Denn von ihrem Vater braucht sie das leider nicht zu erwarten. Er selbst ist ein mittelmäßiger Musiker, der nur mittelmäßige Lieder schreibt, obwohl er sich selbst für den Größten hält. Als dann seine Tochter als Kastrat sehr erfolgreich ist, lässt er es sich gut gehen und lebt von dem Geld, dass seine Tochter bei den Auftritten verdient. Dazu verprasst er sein Geld für Alkohol und Huren, vernächlässigt aber auch das Training mit seiner Tochter, was nicht gerade hilfreich ist. Denn so ist sie lange nicht dazu in der Lage, selbst Lieder zu schreiben, um ihr kleines Lager an Liedern, die sie singen kann, zu erweitern. Denn die Leute wollen auch mal was anderes hören, als das, was sie sonst immer zu hören bekommen, wenn der junge und begabte Kastrat singt. Natürlich muss Giulio immer mal wieder mit Leuten kämpfen, die um seinen Erfolg neidisch sind - zum Glück gewinnt sie dann doch hier und da ein paar Menschen, die auf ihrer Seite stehen und sie unterstützen. Als sich dann auch noch jemand in sie verliebt, fand ich es total knuffig. Denn der arme Kerl dachte, er hätte sich in einen Kastraten verliebt und rang lange mit seinen Gefühlen, bis er sich irgendwann dachte: Naja, dann ist es halt eben so. Gegen meine Gefühle kann ich mich noch so wehren, dann liebe ich eben Giulio. Zwar ist es doch streng genommen ne Hetero-Geschichte, trotzdem finde ich den Werdegang ziemlich gut. Was mir auch gefällt, ist der Werdegang von Giulio selbst bzw von Giulia. Früher hatte sie vor ihrem Vater gekuscht, aber sie erkennt schnell, dass sie sich von ihm abnabeln muss, aus mehreren Gründen und schafft es dann schließlich, was ich richtig gut finde. Sie braucht keinen Parasiten, der ewig nichts tut und sich auf ihre Kosten besauft.
Leseprobe:
Ihre Wangen brannten von den Ohrfeigen ihrer Mutter, und in ihren Augen standen Tränen. Dennoch warf Giulia den Kopf in den Nacken und schob trotzig ihr Kinn vor. Nie, niemals würde sie verstehen, warum es Sünde sein sollte, die Lieder zu singen, die der Knabenchor oben in der Abtei fleißig einübte.
Meist war sie vorsichtig und sang nur, wenn sie sich allein wähnte oder ihr Vater es ausdrücklich erlaubte. An diesem Morgen jedoch waren ihr ein paar Takte jener wunderbaren Melodie über die Lippen gekommen, die sie beim letzten ihre heimlichen Ausflüge erlauscht hatte und die seitdem wie ein Echo in ihrem Kopf widerhallte. Sie hatte geglaubt, niemand würde sie hören, da ihre Mutter schon seit Tagen krank im Bett lag. Zu ihrem Pech war die Mutter gerade hinter ihr aus der Tür getreten und hatte alles mit angehört.
Zur Strafe musste Giulia anstelle der Magd die Wäsche auf dem Bleichanger tragen und dort ausbreiten. Der schwere Korb zerrte so an ihren Armen, dass sie ihn am liebsten fallen gelassen hätte. Doch sie dachte an das Strafgericht, das ihre Mutter auf sie niederprasseln lassen würde, und schleppte die Last, die für ein Mädchen von elf Jahren viel zu schwer war, weiter die schmale Treppengasse hinab, vorbei an den kleinen, aus Bruchsteinen errichteten Häusern, aus denen es sauer roch.
Sie sehnte Assumpta herbei, die die Wäsche gern selbst zum Bleichanger getragen hätte. Mehr als einmal hatte die alte Magd ihrer Mutter Vorbehaltungen gemacht, weil diese ihrem Kind viel zu schwere Lasten aufbürdete. Die Mutter war jedoch der Meinung, sie könne ihrer Tochter nur mit harter Arbeit das Singen abgewöhnen und sie auf den Pfad der Tugend zurückführen. Giulia verstand ihre Mutter nicht, denn sie fühlte sich so unschuldig wie ein Engel im Himmel. Was konnte sie dafür, dass die Lieder, die die Chorknaben so mühsam einstudierten, in ihrem Gedächtnis haften blieben, selbst wenn sie sie nur ein einziges Mal gehört hatte.
Fazit:
Nun, das Buch ist nicht perfekt und hat mich jetzt auch nicht so stark vom Hocker gerissen wie die Wanderhure, es hat mir trotzdem gefallen. Beim Lesen hatte ich viel Spaß und ich hatte die ganze Zeit gehofft, dass Giulias Geheimnis nicht aufliegen würde. Lange hatte ich gehofft, dass sie sich von ihrem Vater lösen kann, denn was er alles mit ihr getan hat oder tun wollte, war nun wirklich nicht so gut. Später habe ich mich gefragt, wie es zwischen ihr und ihrem heimlichen Verehrer ausgehen wird, natürlich hatte ich auf das Beste für die beiden gehofft. Das ganze Getue zwischen den ganzen Adeligen und der Kirche und ihren diversen Anhängern hat mich dagegen eher weniger interessiert. Ich habs zwar gelesen, aber dem nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Außerdem wäre die Erklärung, warum das Singen von solchen Liedern für Frauen Sünde ist, wie gesagt gerne etwas ausführlicher gehört, denn so schwebte das einfach in der Luft. Ist halt so. Aber warum, hab ich die ganze Zeit nicht herausfinden können. Nun ja, ich bin kein religöser Mensch und kann es an sich nicht verstehen, wenn irgendwas mit der Religion und "Ist halt so" abgestempelt wird. Ansonsten hat mir das Buch wirklich gut gefallen und nicht nur einmal wünschte ich mir, ich könnte Giulias Gesang auch hören. Insgesamt vergebe ich dem Buch 4 Rubine :-)
Quelle:
Selbst geschossen
Hugendubel.de
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